Ein Totengräber erzählt

(Auch als Download)

»Entschuldigen Sie bitte!«

 

Dieser Satz ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Warum, fragen Sie sich? Nun, ich bin Totengräber. Und wenn man in der Abenddämmerung noch seiner Arbeit nachgeht, sich alleine auf dem Friedhof wähnt und dann eine Stimme vernimmt, ist das schon sehr erschreckend.

 

Ich drehte mich um und sah einen Mann von stattlichem Wuchs, mittleren Alters. Er trug die Offiziersuniform eines mir unbekannten Regiments. Ich konnte schon an seinem Äußeren erkennen, dass er nicht aus dieser Gegend stammte.

 

»Mein Name ist Kaspar von Hardenberg«, sprach er weiter. »Ich bin Arzt in der Armee ihrer Majestät Maria Theresias. Sind Ihnen hier auf dem Friedhof in letzter Zeit besondere Dinge aufgefallen?«

 

Diese Frage fand ich, gelinde gesagt, seltsam. Es wütete zwar gerade eine Epidemie, aber das habe ich in meinen fünfzig Lebensjahren schon häufig erlebt. Für mich unterschied sich der Frühling 1738 in nichts von vielen anderen.

 

Meine Überlegungen muss Herr Hardenberg mir wohl angesehen haben. Jedenfalls lud er mich ins Wirtshaus ein, wo es sich besser reden ließ und ich nahm seine Einladung an.

 

»Vor einigen Jahren gab es in Serbien mehrere Fälle von Vampirismus«, begann er das Gespräch, nachdem wir uns gesetzt hatten. »Ich bin beauftragt, herauszufinden, ob dieses Phänomen nur auf dem Balkan vorkommt oder im ganzen Reich.«

 

»Werter Herr«, antwortete ich. »Die Dinge der großen weiten Welt dringen nur sehr selten bis zu uns vor. Was ist Vampirismus?«

 

»Ein Vampir ist ein Untoter, der nach seiner Beerdigung dem Grab entsteigt und die Lebenden mit in den Tod zieht.«

 

»Das ist ja sehr interessant, werter Herr. Aber ich weiß immer noch nicht, worauf sie hinauswollen.«

 

»Auf verdächtige Tote natürlich!«

 

Natürlich! So weit war ich auch schon, aber woran erkennt man die?

 

Mein Gesichtsausdruck sprach wohl Bände. Jedenfalls fragte er resigniert weiter: »Gab es in letzter Zeit ungeklärte Todesfälle in ihrer Gegend?«

 

»Zur Zeit wütet mal wieder der Tod ...«

 

»Wirklich?«, fiel er mir ins Wort. »Welche Symptome zeigen die Erkrankten?«

 

»Sie bekommen starken Husten und Atemnot«, erklärte ich. »Irgendwann spucken sie Blut und dann geht es sehr schnell zu Ende mit ihnen.«

 

»Haben die Erkrankten erwähnt, dass ihnen jemand die Lebenskraft raubt? Ein vor ihnen Verstorbener?«

 

»Ja«, kam es vom Tisch neben uns. Ich erkannte die Stimme vom alten Huber, der sich mal wieder wichtig machen musste.

 

Ohne Aufforderung kam er an unseren Tisch und setzte sich. »Als meine Magd, die Trudi, im Sterben lag, erzählte sie, sie habe den Hannes gesehen. Der war damals schon Wochen tot. Sie sagte, sie habe sich dadurch so erschrocken, dass sie Stiche im Herz bekam und ab da sei es mit ihr rapide bergab gegangen.«

 

Der Herr Hardenberg war jetzt Feuer und Flamme, während ich nur noch staunend daneben saß.

 

»War an diesem Hannes etwas Verdächtiges?

 

»In den letzten Monaten hat man ihn nie in der heiligen Messe gesehen«, erwiderte der Huber. »Und sein Tod war ja auch verdächtig. Er starb sehr schnell, nachdem er von einem Schaf gegessen hat, das er verendet am Wegrand gefunden hatte.«

 

»Ein klassischer Fall von Vampirismus«, rief Herr Hardenberg. »Wir müssen ihn exhumieren und unschädlich machen! Um die nötigen Papiere kümmere ich mich natürlich.«

 

Etwa eine Woche später kamen mir Gerüchte zu Ohren, der Hannes habe nicht nur Trudi getötet, sondern noch viele andere. Hätte ich mir ja gleich denken können, dass der Huber sein Schandmaul nicht halten konnte.

 

Die Epidemie war noch nicht überstanden. Bei früheren Epidemien hat so etwas niemanden verwundert. Aber jetzt wuchs der Unmut in der Bevölkerung. Wieso unternahm die Obrigkeit nichts gegen diese Vampire? So langsam verstand ich meine Mitmenschen nicht mehr.

 

Es dauerte lange, bis der Herr Hardenberg die Erlaubnis eingeholt hatte, aber zu meinem Leidwesen war es ihm doch noch gelungen. Natürlich habe ich schon einmal einen Toten exhumiert, aber das gehört bestimmt nicht zu meinen Lieblingsaufgaben, dass kann ich Ihnen versichern.

 

Und so schritten wir zur Tat, der Herr Hardenberg, zwei seiner Untergebenen und ich.

 

Um unnötige Gaffer zu vermeiden, machten wir uns spät am Abend des 26. Mai an die Arbeit. Wir hoben Hannes Grab aus und öffneten den Sarg. Was ich dann sah, ist mir bis heute unbegreiflich. Hannes war schon einen Monat tot, aber an der Leiche war noch keine Spur von Verwesung zu erkennen. Im Gegenteil. Seine Haut war rosig und er schien gut genährt.

 

»Wir haben tatsächlich einen Vampir entdeckt«, sagte Herr Hardenberg, nicht ohne Triumph in der Stimme. »Wir müssen ihn unschädlich machen. Dazu stoßen wir ihm einen Holzpflock durch das Herz und köpfen ihn. Meine Gehilfen und ich werden das erledigen.«

 

Wenig später ließ die Epidemie nach. Ob es aber an der Vernichtung des Vampirs lag oder am Lauf der Zeit, wer weiß das schon. Sie können mir glauben, dass ich danach nie wieder etwas von Vampiren in unserer Gegend gehört habe.